Egger Sozialbehörde kämpft um Existenz
Anfang Juni bestimmen die Egger an der Urne über die Zukunft der Sozialbehörde. Der Gemeinderat will sie auflösen – anders als die Opposition aus den bürgerlichen Parteien und der Behörde selber.
Eigentlich haben die Egger der Auflösung der Sozialbehörde bereits zugestimmt. Im März 2015 genehmigten sie mit 76,3 Prozent Ja-Stimmen die neue Gemeindeordnung. Dass neben der Bildung einer Einheitsgemeinde auch die heutige Sozialbehörde in den Gemeinderat integriert werden sollte, schlug aber schon damals hohe Wellen.
Ja-Parole trotz Kritik
Die Ortsparteien FDP, SVP und Pro Egg wehrten sich gegen die Pläne des Gemeinderats, die Sozialbehörde aufzulösen. Sie beschlossen trotzdem geschlossen die Ja-Parole, um der Bildung einer Einheitsgemeinde nicht im Weg zu stehen.
Im Dezember reichten die Präsidien von FDP, SVP und CVP eine Initiative ein, die den Fortbestand der Sozialbehörde sicherstellen soll. Die Initiative wurde von allen Mitgliedern der Sozialbehörde mitunterzeichnet – abgesehen von Sozialvorsteherin Maja Gonseth (FDP), die dem Kollegialitätsprinzip im Gemeinderat untersteht (wir berichteten). Am 5. Juni entscheidet das Egger Stimmvolk über die Zukunft der Sozialbehörde an der Urne.
Für den Gemeinderat ist die Sache klar: Durch den Übergang der Zuständigkeit für das Vormundschaftswesen von der Gemeinde an die regionale Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sei ein wichtiger Aufgabenbereich der Sozialbehörde weggefallen.
«Die Aufgaben, die noch bleiben, können grösstenteils von unserer Sozialvorsteherin und vom Sozialsekretariat übernommen werden», sagt Gemeindepräsident Rolf Rothenhofer (parteilos). Die Zahl der zu behandelnden Fälle sei jedoch nicht stabil. «Sollte es nötig sein, kann jederzeit ein Ausschuss aus dem Gemeinderat ins Leben gerufen werden, der sich um die zusätzlichen oder speziellen Fälle kümmert.» Die meiste Arbeit werde schon heute direkt vom Sozialamt übernommen. «Wir haben bereits vor Jahren in dieses Amt investiert», sagt Rothenhofer. Es sei darum personell gut aufgestellt und für zusätzliche Aufgaben gewappnet.
Entfremdung befürchtet
Die bürgerlichen Ortsparteien sehen die Sachlage anders. Die Parteipräsidenten von FDP, SVP und CVP können nicht verstehen, warum eine funktionierende Behörde aufgelöst werden soll, um danach bei Bedarf wieder einen Ausschuss zu bilden. «Die Sozialbehörde war und ist stets eine Garantin für Bürgernähe, Effizienz, Fachkunde und Kenntnis der lokalen Verhältnisse» , schreiben sie im Initiativtext. «Die Mitglieder der Sozialbehörde kennen nicht nur Egg, sondern auch die Einwohner.»
Für Stefan Schmid, Präsident der FDP Egg, ist dies eines der wichtigsten Argumente gegen eine Abschiebung der Aufgaben auf den Gemeinderat und die Verwaltung. «Die Angestellten des Sozialamts arbeiten keineswegs schlecht», sagt er. Aber viele von ihnen kämen nur nach Egg, um zu arbeiten, und lebten nicht in der Gemeinde. «Dadurch kommt es zu einer Entfremdung, wie dies schon bei der Kesb der Fall ist.»
Zu kurz für Fazit
Dies sieht Tobias Infortuna, Präsident der örtlichen SVP, genauso. «Die Milizbehörde ist vom Volk gewählt», sagt er. «Die Sozialbehörde leistet qualitativ gute Arbeit. Wäre man mit ihr nicht mehr zufrieden, könnten nach vier Jahren neue Mitglieder gewählt werden», sagt Infortuna. Bei einer Verwaltung gehe das nicht. Beide erwarteten zudem einen Anstieg der Kosten durch die «wohl unvermeidliche Einstellung von zusätzlichen Sozialarbeitern» .
Das Argument des Gemeinderats, andere Gemeinden hätten bereits denselben Weg gewählt, beurteilen die Parteipräsidenten kritisch. «Nur wenige Gemeinden haben ihre Sozialbehörden aufgelöst», sagt Stefan Schmid. «In dieser kurzen Zeit lässt sich noch kein aussagekräftiges Fazit über den Erfolg der Umverteilung der Aufgaben ziehen.» Erst recht bestehe kein Anlass, etwas zu ändern, wenn die Änderung im besten Fall gleich gut wie das Bisherige sei. «Im schlimmsten Fall führt es aber zu mehr Bürokratie und Kosten, ohne dass sich für die Betroffenen etwas verbessern würde.»
Auch Tobias Infortuna ist skeptisch. «Die Bezeichnung ‹erfolgreich› ist immer auch eine Behauptung.» Dass im Bezirk Uster noch jede Gemeinde über eine Sozialbehörde verfüge, sei Aussage genug. In der Region sind es die Gemeinden Wald, Fischenthal und Bäretswil, die den Schritt zur Auflösung vollzogen haben (siehe Box).
Zeit für Aufgabenverteilung
Gemeindepräsident Rolf Rothenhofer aber ist optimistisch, dass die Qualität bei einer Umverteilung der Arbeiten gewährleistet wäre. Seines Wissens bewähre sich die Neuorganisation in den genannten Gemeinden. «Da in Egg für die Bildung der Einheitsgemeinde eine Revision der Gemeindeordnung anstand, wollten wir die Chance nutzen, die Sozialbehörde in den Gemeinderat zu integrieren.» Im gleichen Zug wurden sowohl Schulpflege als auch Baukommission von sieben auf fünf Mitglieder reduziert.
«Wäre die Gemeinderevision nicht nötig gewesen, hätte man an einer nächsten Revision die Integration der Sozialbehörde in den Gemeinderat beantragt.» Nun habe man genügend Zeit, um die Aufgaben innerhalb des Gemeinderats neu zu verteilen. Dieser besteht bis zu den nächsten Wahlen 2018 mit Schulpräsidentin Beatrice Gallin (FDP) aus acht Personen. Die jährlichen Kosten von rund 22 700 Franken für die Entschädigung der Sozialbehörde würden sich auch bei einer Umverteilung der Aufgaben laut Rothenhofer auf einem gleichen Niveau einpendeln. «Zu behaupten, die Kosten würden steigen, ist ein Blick in die Kristallkugel.»
Komplexe Arbeit
Die Mitglieder der Sozialbehörde, die die Initiative mitunterzeichneten, fühlen sich durch die Pläne des Gemeinderats vor den Kopf gestossen. «Als ich das erste Mal davon hörte, war ich enttäuscht, da meiner Meinung nach die Schaffung der Einheitsgemeinde mit der Auflösung der Sozialbehörde in keinem Zusammenhang steht», sagt Bettina Baumgartner. Der Gemeinderat wisse wohl nicht genau, welche aufwendige und komplexe Arbeit die Behörde im Detail leiste.
Auch Claudia Nyffenegger kann einer Verschiebung der Aufgaben nichts Gutes abgewinnen. «Die Vernetzung, die wir in der Gemeinde haben, kann das Sozialamt nicht bieten», sagt sie. «Die Gemeindeangestellten kennen zwar die Sozialhilfeempfänger persönlich, aber die Gegebenheiten in der Gemeinde zu wenig.» Beide sind sich einig, dass eine Sozialbehörde zwar an Richtlinien gebunden agiert, aber besser auf die Umstände der einzelnen Fälle reagieren kann. Dies gebe Spielraum für weitreichende Massnahmen, Entscheide und Vorschläge.
«Die Arbeit von Milizbehörden ist Bestandteil unserer Gemeindekultur und unserer Schweizer Staatsphilosophie», sagt Bettina Baumgartner. Claudia Nyffenegger hofft auf die Egger Bevölkerung. Sollten die Stimmbürger entscheiden, dass es die Sozialbehörde nicht mehr braucht, könnte sie damit leben, sagt sie. «Dann hatten die Egger die Chance, bewusst über die Behörde zu entscheiden und nicht versteckt in einem grossen Paket.»
ERFAHRUNGEN AUS ANDEREN GEMEINDEN
Behörde schlug sich selber zur Auflösung vor Anders als in Egg gab es in den Gemeinden Bäretswil und Wald keine Opposition gegen die Auflösung der Sozialbehörde. In Bäretswil waren es gar deren Mitglieder, die den Antrag gestellt haben, da sie sich als überflüssig betrachteten. In Wald hatten mehrere Mitglieder der Sozialbehörde angekündigt, dass sie sich ohnehin für die Amtsperiode 2014 bis 2018 nicht mehr zur Wahl stellen werden. In beiden Gemeinden wurde die Auflösung der Sozialbehörde als Teil der neuen Gemeindeordnung genehmigt und per Ende Amtsperiode 2010 bis 2014 umgesetzt.
Positive Erfahrungen
Sowohl in Wald als auch in Bäretswil berichtet man von positiven Erfahrungen. «Bei der nächsten Teilrevision der Gemeindeordnung müssen wir allenfalls noch eine kleine Anpassung vornehmen», sagt Felix Wanner, Gemeindeschreiber von Bäretswil. Obwohl in der Weisung die Delegation an den Ressortleiter explizit erwähnt sei, fehle eine solche grundsätzliche Delegationsmöglichkeit. Auch in Wald ist man zufrieden. «Der Sozialausschuss arbeitet im Vergleich zur Sozialbehörde gleich effizient, zielgerichtet, interessiert und auch bezüglich Qualität auf gutem Niveau», sagt Gemeindeschreiber Martin Süss. In beiden Gemeinden habe die Umstellung laut den Gemeindeschreibern zu keinem Anstieg der Kosten geführt, in Wald gar zu einer kleinen Einsparung.